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Die Heimito-von-Doderer-Gedenkstätte

Dieser Text des inzwischen verstorbenen Doderer-Kustos Dr. Engelbert Pfeiffer ist so abgedruckt, wie er in den Publikationen des Bezirksmuseums vorzufinden ist. Die alte Beschreibung und Rechtschreibung wurden beibehalten, entsprechen aber nicht mehr der Realität.

Die Heimito-von-Doderer-Gedenkstätte im Bezirksmuseum Alsergrund

[Erschienen in: Das Heimatmuseum Alsergrund 29 (1988), H. 114, S. 8-10.]

Ein Mann wehrt sich ein Leben lang gegen einen ehelichen Alltag. 60 ist er, dann aber stehen die Ehebetten nebeneinander. Jene Frau, die er seit 19 Jahren kennt, mit der er seit vier Jahren verheiratet ist, Maria Emma, geborene Thoma, gleichen Alters, in Landshut in Bayern wohnend, fordert nunmehr, was ihr zukommt, was zudem ihr Milieu, das ein wohlehrbares ist, von einer Verheirateten erwartet.

Doderer hatte, bevor er 1956 in die Währinger Straße einzog, – zehn Jahre sollte sein Leben noch währen – seit dem Verlassen der elterlichen Wohnung (1928) auf 15 Meldeadressen gewohnt, fast jedesmal waren es Untermieten, Atelierquartiere. Ein echter Junggeselle, der Alleinsein, Ungebundenheit schätzte. Mit einem Handwagerl wurde einiges Mobiliar von der Buchfeldgasse 6 in der Josefstadt hierher in die Zweizimmerwohnung überführt. Mit dem endgültigen Einzug hat man sich dann noch ein Vierteljahr Zeit gelassen, wie aus den Tagebüchern zu erkennen ist. Schließlich war es eine der Arbeit und dem Behagen gerechte Behausung, mit einem engen, aber dichten Umfeld von Erinnerungsstücken, Möbeln aus elterlichem und großelterlichem Besitz, mit liebgewordenen Dingen des Bedarfes, der Gewöhnung, des eigentlich Eigenem. Verständlich, daß die Witwe dann sich von einigen Stücken, zu denen ihre Beziehung keine innige war, zu trennen beschloß, um einiges anzuschaffen, das ihrem Geschmack gerecht war. 

Wieder ging's mit einem Handwagerl (1972) schräg hinüber auf Nummer 43, zum Bezirksmuseum Alsergrund. Das „,Sanctissimum" Im einfenstrigen Raum von der Größe eines Kabinetts ist, außer dem Luster, nichts enthalten, was nicht aus Doderers Besitz stammt. Hier etwa ist das kleine Tischchen mit den geschwungenen Füßen, noch aus der Buchfeldgasse, auf dem die Manuskripte zur Strudlhofstiege und zu den Dämonen entstanden, hier sind die Reißbretter, auf die die Zeichenblätter geheftet waren, mit dem Linien-, Kurven-, Netzgefüge der kompositorischen Intentionen, im Großen gegliedert in Kategorien wie ,Einheit', ,Dynamik, ‚Motivik', ,Chronologie': Sie waren ihm über Wochen und Monate vor Augen. Bereit, oder gestimmt, an eine Situation, ein Moment innerhalb des Ganzen heranzugehen, bot sich ihm hier das Umfeld des Geplanten, aber noch nicht konkret Gewordenen. Schreibend, schenkte es sich ihm dann, als Konkretion, er hatte es schließlich, als einen Wurf, der endgültig war. 

Auf einfachen Stellagen, die Doderer sich noch von einem Tischler in der Josefstadt hatte verfertigen lassen, befindet sich der Restbestand seiner einstigen Bibliothek: alte Lexika, Klassikerausgaben, Wörterbücher, noch aus Vaters Besitz, Handbücher, die der Historiker braucht, Atlanten, Partituren Beethovenscher Symphonien, kurz das Lesegut eines Humanisten. Und viele Widmungsexemplare. 

An den Wänden Aquarelle von der Hand des Großvaters, Linolschnitte, Gouachen, Ölbilder, die einige Kriegskameraden und alte Freunde wie Haybach, Eggenberger, Kunft, Graber geschaffen und ihm gewidmet haben. Neben einem Kinderportrait Heimitos, das der Vater in Auftrag gegeben hat, steht die Knabenbüste, geschaffen in Laaser Marmor von Angelo Buzzi-Quadrini. (Es war ein Punktierbildhauer', der in der dekorationsfreudigen Ringstraßenära insbesondere für Viktor Tilgner arbeitete, in dessen Schatten er als Künstler stand.) Ebenfalls in diesem Raume befindet sich die von Fritz Wotruba im Döblinger Rudolfinerhaus abgenommene Totenmaske. 

Die Sitzgarnituren, von gediegener Bauweise, entstammen zwei Generationen: der des Großvaters (teils Biedermeier, teils Historismus) sowie der des Vaters (nach englischen Vorbildern). Im Hintergrund ein Sekretär, in der Familie ,das Wappenkästchen' genannt, mit reliefierten Familienwappen, in dem jetzt Ehrenurkunden, Plaketten, Urkunden über Preiszuerkennungen und dergleichen mehr Platz finden. Aber auch das Kondolenzbuch vom 2. Jänner 1967. Es enthält die Namenszüge zahlreicher Persönlichkeiten Österreichs und Deutschlands, als Zeugnis allgemeiner Anteilnahme. Ein Teppich brächte eine farbigere, wärmere Note in diesen schummrigen Raum. Allein er wäre nicht aus Doderers Besitz. Auch täten den Möbeln die Glanzlichter frischer Politur gut. Doch verlören sie, restauriert, gewisse Auren ihres Alters, was ihnen gewahrt bleiben möge: Der, dem sie gehörten, hat sie so und nicht anders gehabt und war damit zufrieden. 

Der Raum der Vitrinen 

Vielerlei muß in Vitrinen bewahrt werden, sie befinden sich im Vorraum der Gedenkstätte. Da ist etwa Doderers Rauchzeug: exquisite Tabakpfeifen, Tabakdosen und -beutel, dort eine alte Reiseschreibmaschine, daneben etliche Fäßchen mit farbigen Tuschen, Füllfedern, dort verschiedenes liebgehaltenes Kleinzeug, Nippsachen, auch ein (später verchromter) Steigbügel aus der Zeit des Dienstes als Einjährig-Freiwilliger bei den Dragonern, ein Opernglas aus Familienbesitz - Urbild jenes ,Sechsundsechzigers', der von der Romanfigur Julius Zihal auf dem Tandelmarkt in der Roßau erstanden wird. Ausgestellt ist das vielleicht einzige erhaltene Portraitfoto des Schöpfers der Strudlhofstiege, Ingenieur Theodor Jaeger. Der Autor hat es von der Witwe erhalten, als er sie in der Florianigasse besuchte, um von ihr Näheres über Jaeger und die Baugeschichte zu erfahren. (Das Konzept für das bei der Begegnung zu Ermittelnde, mit den eingetragenen Auskünften, ist noch erhalten.) Dazu eine originale Entwurfsvariante (Graphitstift) von der Hand des Ingenieurs. An anderer Stelle findet sich neben dem das Bauwerk betreffenden Originaltext im Roman, Seite 330 bis 332, die stille Weisheitsaussage dieser Stiege, wie sie Doderer deuten zu dürfen glaubte, als Textinterpretation ausgewiesen. Aus Doderers Bibliothek liegt Otto Weiningers seinerzeit populäres Werk „, Geschlecht und Charakter" - aufgeschlagen an jener Stelle, wo Pico della Mirandolas lateinischer Exkurs „ Von der Würde des Menschen" zitiert ist - und daneben ein Faksimile von Doderers handschriftlicher Übertragung dieser Stelle ins Deutsche, wie sie der Leser in den Dämonen auf Seite 230f. vorfindet. An mehreren Stellen in den beiden Räumen ist eine größere Anzahl von Bogen, Pfeilen, Köchern und anderen Utensilien zum Sportbetrieb des Bogenschießens zu sehen, dem Doderer seit seinen Knabenjahren oblag.

In einem Gedicht An meinen Bogen, das er auch lateinisch faßte, nimmt er Bezug auf die Deckungsgleichheit des Aktes eines Schusses mit dem Pfeil auf das Ziel einerseits und dem Finden des rechten, treffenden Wortes für das Auszusagende. Der geglückten Einung des Schützen mit seinem Ziel entspricht also die Situation des Schreibenden seinem Thema gegenüber. Mit der Herstellung eines entsprechenden intentionalen Verhältnisses, was eine ganze Lebensdisziplin zur Voraussetzung hat, beschäftigen sich indessen Lehren des Taoismus. Solche aber sind Doderer seit seinen Jugendjahren nicht unbekannt. Besieht man sich nun jene Sportartikel in einer der Vitrinen des näheren, entdeckt man auf ihnen, eingezeichnet oder eingeritzt, gewisse Zeichen, die als Geheimzeichen anmuten, sozusagen Privatsymbole, Ideogramme. Sie sind von der Hand jener Licea-Renata, die uns in Lichtental, im Haus, Zum blauen Einhorn" bei der Witwe Kapsreiter vorgestellt wird. Sie hat es wirklich gegeben, eine 17 Jahre jüngere, sehr ergebene Verehrerin, die all dies ihrem geistigen Meister, als Sportkamerad, um die Jahre 1935-36 gebastelt hat. So manche dieser Symbole, Kürzel, Motti finden sich noch nach langen Jahren in den originalen Tagebüchern. Hier aber erweisen sie sich als der Niederschlag damaliger gemeinsamer Erörterungen, Funde, Erkenntnisse, es sind Protokolle, Stenogramme, manchmal mit skurriler oder humoristischer Note, Zeugen beschwingten Miteinanderseins nicht minder. Sie können gedeutet werden. Auch die lebenslange Maxime hic et nunc - semper paratus ist hier zu entdecken, sie wird später einmal zur Grabinschrift gehören. 

Der Leser der beiden großen Romane weilt auf weite Strecken auf dem Alsergrund. Dieser 9. Wiener Gemeindebezirk ist ja, neben dem 3. und 19., dem Schriftsteller lebensgeschichtlich und werkgeschichtlich von Bedeutung geworden, seit seinen Jugendjahren. Diese Stadtgegend hat ihm Auren und Idyllen geschenkt, ihn so manchen genius loci gewahr werden lassen, der auf ihn zu warten schien, auch gab es hier so manche Orte unvergeßlicher Episodik, wie auch solche der Entscheidung. Um dies zu dokumentieren und zu verdeutlichen, sind auf einem großen Luftbild alle jene Orte markiert, die im Leben und Werk des Romanciers eine Rolle gespielt haben. Die Topographik beinhaltet an die 30 Daten. Zugeordnet sind einschlägige illustrierende Photos, nebst Hinweisen auf die Textstellen im Werke, die jene Orte betreffen. 

In diesem Raum findet der Besucher eine Sammlung deutschsprachiger Buchausgaben und vielerlei anderes, sofern es nicht schon im Raum I der Gedenkstätte vorweggenommen ist. Hinsichtlich Bibliographie, Sekundärliteratur, Übersetzungen, Tondokumenten unterrichten entsprechende Übersichten. Manch Kostbares, auch biographisch und familiengeschichtlich Wichtige und Dokumentarische kann nicht anders als gesondert aufbewahrt bzw. geborgen sein. In einer aufliegenden Sammelmappe kann über dies und jenes Einschlägige, Verdeutlichende, Ergänzende nachgesehen werden, wie denn auch der Kustos bereit ist, auf Wunsch Zusätzliches und Erklärendes beizutragen.

Bezirksmuseum 
9. Alsergrund

1090, Währingerstraße 43
Museumsleiter   
Prof. Dr. Willi Urbanek

Tel:     0676 6119232
Email: bm1090@bezirksmuseum.at
Erreichbarkeit      
Linie 5 - Spitalgasse/Währingerstr.

Linie 37, 38, 40, 41, 42 -  Sensengasse
Öffnungszeiten           
Mittwoch  11.00 - 13.00
Mittwoch  15.00 - 17.00
Sonntag   10.00 - 12.00    (Schauräume)


Geschlossen:
Schulferien und Feiertage
 






 


 

 




 
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